Die Struktur der Gruppe entsteht durch das achtsame Miteinander der einzelnen Beteiligten. Die Struktur kann nicht von vornherein vorgegeben werden, da sie sich erst im Verlauf des Prozesses zeigt und Schrittchen für Schrittchen entfaltet (Selbststrukturierung, Konkreativität). Es ist eine andere Art von Struktur, die da entsteht, keine logisch gesetzte, sondern eine organisch aus den einzelnen Beiträgen heraus sich entfaltende Struktur. Die Struktur ähnelt mehr der Struktur eines Blatts, das man unter dem Mikroskop betrachtet und weniger der Struktur eines Bauplans, den ein technischer Zeichner konstruiert. Die Struktur kann nicht vorgegeben werden vom Gruppenleiter, da der Gruppenleiter als Einzelperson im Voraus nicht wissen kann, welche Struktur aus der Gruppe als Ganzes kommen wird, wenn der dynamische Prozess erst einmal angelaufen ist.
Die Aufgabe des Gruppenleiters ist es, wach und achtsam zu sein. Er hat einerseits die Aufgabe, den Gesprächsfaden immer wieder zurückzuführen auf das große Ganze, wenn sich die Gruppe in Details verstrickt oder im Kreise dreht, aber andererseits auch den Details so viel Raum zu geben, dass sie zu echten Beiträgen werden (dass also die Intention derjenigen Person wirklich von den anderen gehört und aufgenommen wird). Dies kann er erreichen, indem er den einzelnen Beiträgen der Gruppenmitglieder Raum gibt, ihnen in einer Haltung der Wertschätzung begegnet (Facilitation). Die am häufigsten ausgeführte Tätigkeit des Gruppenleiters ist es, geduldig zuzuhören.
Die Aufgabe der Gruppenmitglieder ist es, selbst aktiv zu sein. Ohne Eigeninitiative geht gar nichts. Ohne eine Haltung von “es ist meine eigene Verantwortung, mich so einzubringen, dass ich hier glücklich bin” warten alle auf ein Kommando, welches nie kommen wird. Ohne den Mut Einzelner, sich hinauswagen aufs offene Meer mit eigenen Ideen verharrt die Gruppe in Stagnation. Es braucht eine Weile, bis eine Gruppe vom klassischen “jemand führt uns” hin zu “wir führen uns selbst” wechselt. Aufgaben und Initiativen können dann flexibel wechseln zwischen den Gruppenmitgliedern. Aufgaben und Initiativen können, dürfen und sollen sich verändern. Wegweisend für die eigene Rolle als Gruppenmitglied ist die eigene Lust, sich mit seinen individuellen Besonderheiten und Eigenarten einzubringen. Es gibt keine normativen Vorgaben für die Rolle als Gruppenmitglied, es gibt nur das eigene Wollen.
Die Gruppe funktioniert dann, wenn
- genügend Zeit und Raum für jeden Einzelnen und auch für Gruppendynamik als Ganzes gegeben sind,
- die einzelnen Mitglieder bereit sind, sich einander zuzuwenden, wenn sie einander geduldig, neugierig und interessiert zuhören,
- die einzelnen Mitglieder einander freiwillig unterstützen, weil sie am Gelingen der Gruppe als Ganzes und auch am Gelingen der “Projekte” der anderen Gruppenmitglieder (und nicht nur der eigenen) interessiert sind,
- wenn “Chaosphasen” erlaubt und aufgrund ihres kreativen Potenzials geschätzt sind und wenn
- alle Beteiligten grundsätzlich bereit sind, sich auf das Abenteuer einer dynamischen Gruppe einzulassen.
Eine dynamische, sich selbst strukturierende Gruppe ist zerbrechlicher und sensibler als eine klassische, fremdgeführte Gruppe, aber sie bietet auch mehr Raum für die Entfaltung von Autonomie. Sie birgt ein größeres Risiko des Scheiterns, aber auch mehr Möglichkeiten des Gelingens. Eine dynamische Gruppe gibt Halt im sozialen Miteinander durch die einander zugewandte Entfaltung von Individualität.
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