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Vom Meditieren

Meditieren ist eine krasse Sache. Seit etwa 10 Jahren praktiziere ich es, mal mehr, mal weniger konsequent. Seit etwa einem halben Jahr sitze ich fast jeden Morgen für etwa 10 bis 25 Minuten. Ein Kurs bei Nauka in Eiblstadt hat mir die Initialzündung gegeben für diese neue Regelmäßigkeit. Wenn ich sitze, liegt eine braune Fleece-Decke über meinen zum Lotossitz verknoteten Beinen. Vor mir brennt ein Räucherstäbchen, das Weihrauchduft verbreitet und mir gewissermaßen die Uhr ersetzt. Je nachdem, wie lange ich meditieren will, breche ich mir eine entsprechend lange Räucherstrecke ab. Wenn alles abgebrannt ist, weiß ich: Ich bin fertig. Neben mir steht eine Klangschale, die ich drei Mal anschlage, bevor ich beginne und zwei Mal, nachdem ich ende.

Fast schon karikaturhaft, könnte ein Beobachter meinen, wenn er mich so da sitzen sähe: Da sitzt er nun, der esoterisch angehauchte Psychologe, der meint, erleuchtet zu werden. Zum Glück wird Meditation heute nicht mehr so belächelt, wie vor 10 oder 20 Jahren. Es lässt sich mittlerweile wissenschaftlich zeigen, dass es messbare Auswirkungen gibt, etwa in den Gehirnströmen. Und, nein, erleuchtet bin ich auch nicht. Das ist auch gar nicht mein Ziel. Dennoch merke ich, dass ein halbes Jahr regelmäßige Meditiation sehr viel zu verändern beginnt. So langsam ahne ich, dass sich da eine ganz neue Dimension in meinem Leben auftut. Etwas, was mir im Innersten gut tut und was ich so nicht erwartet hatte.

Wenn ich meditiere, sitze ich da, spüre meinem Atem nach. Spüre, wie es im Körper hier und da kribbelt. Manchmal schalte ich meinen Atem um auf Ujjayi-Atmung. Dann rauscht es in meiner Kehle, als sei ich Darth Vader. Manchmal habe ich die Augen ein wenig offen, manchmal geschlossen. Manchmal versinke ich in Überlegungen, nicht selten kommen mir beim Meditieren Ideen für meine Arbeit, etwa für einen Text, den ich schreiben will. So nebenbei. Manchmal spulen sich auch emotionale Dramen ab, Geschichten, in die ich in meinem Leben verwickelt bin, Ungeklärtes, Schmerzhaftes, Unerreichbares. Ich denke etwa an Menschen, die ich gern bei mir gehabt hätte, aber heute nur noch loslassen kann. Sie bleiben dann ein wenig bei mir, ziehen wieder weiter: Als Gedanke, als Empfindung, als gefühltes Gegenüber.

Manchmal sitze ich auch einfach nur da. Spüre den Boden unter mir, den Atem, der manche meiner Körperstellen sanft bewegt, sehe vage das Zimmer vor mir, bin mir auch des “draußen” so halb bewusst, das rechts neben meinem Fenster beginnt: Ich weiß dann intuitiv auch um die Landschaft, die dort draußen beginnt, um den Baum unten im Garten meiner Nachbarn, um die kleine Hütte, um den Main in einiger Entfernung und um die Hänge mit den alten Weinbergsmauern, die direkt dahinter steil ansteigen. Dann weiß ich auch intuitiv darum, dass ich als atmender Körper einfach mittendrin bin in diesem großen Ganzen, dass ich ein Teil davon bin.

Völlig unspektakulär fühlt sich das an. Dieses Eingebundensein. Völlig normal, irgendwie. So normal, dass ich schon völlig vergessen hatte, dass es diese Normalität überhaupt gibt. Es erinnert mich ein wenig an das Erleben meiner Kindheit – ein Erleben, bei dem da einfach der Baum ist, vor mir, ganz direkt. Ich merke gerade, beim Schreiben dieser Sätze: Es fällt mir schwer, diese Unmittelbarkeit in Worte zu fassen. Worte sind eine andere Kategorie. Das direkte In-der-Welt-Sein kommt vor den Worten. Es braucht eigentlich gar nicht benannt zu werden. Sobald ich es sprachlich zu erfassen versuche, verliere ich es.

Dennoch möchte ich in diesem Eintrag festhalten: Meditieren ist krass. Vielleicht gerade, weil es so unspektakulär Normal ist. Dieses Gefühl ist gerade ganz klar da: Es braucht Mut, immer wieder zurückzukehren, in diese Unmittelbarkeit. Es braucht Mut, die ungeklärten und schmerzhaften Dramen meines Lebens loszulassen, damit verbundene Emotionen kommen und auch wieder gehen zu lassen, weich zu bleiben und sie anzunehmen. Es braucht Mut, zu spüren, dass alles ist, wie es ist, und dass unabhängig von all den Dramen alles von einem feinen Zauber durchzogen wird. Es braucht Mut, mich nicht verrückt zu machen, weil Manches in meinem Leben nicht so läuft, wie ich das eigentlich gewollt hätte. Trotzdem ist alles gut.

Das Krasse am Meditieren ist, dass die Geschichten, die Verwicklungen und die Dramen meines Lebens immer noch da sind. Sie verschwinden nicht. Aber ich darf sie loslassen. Ich darf das wirklich: Jetzt einfach nur den Atem spüren, trotz all des Ungeklärten. Völlig verrückt, dem nicht zu folgen, was das Drama mir sagt, sondern einfach zu atmen. Davon werde ich ruhiger, jedes Mal ein bisschen mehr. Die Geschichten werden mit jeder kleinen Entscheidung, mit der Aufmerksamkeit zum Atem zu gehen, ein bisschen unwichtiger.

Es gibt noch etwas anderes, spüre ich dann, wenn ich da auf dem Kissen sitze. Etwas Grundständigeres. Eine Qualität, die ich als Kind ganz oft gespürt habe. Eine ruhige, stille Qualität. Ich brauche nur den Mut in mir zu finden, innerlich immer wieder zu sagen, “Es ist ok – jetzt Körper spüren”. Selbst im Wirbelsturm des emotionalsten Dramas kühlt mich das ab, holt mich zurück zu mir selbst. Das Atmen genügt schon. Dann sinke ich hinab, ins Jetzt und in die Eingebundenheit. Das Drama, das mich isoliert, ist auch noch da – aber es hat keine Kraft mehr.

Was übrig bleibt: Draußen kalt, drinnen warm – und das Gefühl, nach Hause zu kommen.

 

Sinn-Bild #402
“Nach Hause”

2 Comments

  1. Nauka Nauka 12. Januar 2019

    Ui. Wie schön, lieber Tony- dass freut mich sehr und Du hast dass wirklich schön beschrieben. Darf ich diesen Blogartikel teilen?

  2. Tony Tony 12. Januar 2019

    Hi Nauka, dankeschön – ja klar darfst Du! 🙂

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