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“Wir haben ihren PC aktualisiert.” – Microsoft, Freiheitsphilosophie und Taoismus

Den in der Überschrift genannten Satz sagte Windows 10 kürzlich zu mir, nachdem der Rechner für eine sehr lange Zeit nicht mehr verfügbar war. Der Satz stört mich. Wer seid Ihr? Und warum ist es möglich, dass Ihr einfach auf meinen Rechner zugreift, um ihn zu aktualisieren, ihn für Stunden lahm legt, ohne dass ich Euch darum gebeten habe?

Das, was mich da so stört, ist die Wegnahme meiner Autonomie. Ich mag es einfach, selbst darüber zu bestimmen, was mein Rechner tut und wann er es tut. Vielleicht bin ich in dieser Haltung altmodisch – denn ich mag es z.B. auch, im Dieselmotor meines alten Autos die Ventile selbst einzustellen. Ich möchte die Kontrolle über technische Geräte haben, weil sie eine Art “Extension” meines Körpers sind, eine technische Prothese, und ich möchte meinen Körper, auch in seinen technischen Erweiterungen, selbst kontrollieren. So, wie die Krücke zum Teil des Körpers eines gehbehinderten Menschen wird, werden auch PC und Auto Teile meines gesunden Körpers. Ich vermag mehr zu tun, wenn ich sie (so wie meine Arme und Beine) zu kontrollieren vermag – in allen Facetten.

Diese Möglichkeit der Kontrolle wird mir im oben genannten Beispiel von Microsoft genommen – ich denke, dies kennzeichnet eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft haben wir immer mehr Spezialisten, an die wir Wartungsarbeiten und Reparaturen delegieren müssen, wenn wir an eben dieser Gesellschaft in all ihrer Komplexität teilhaben wollen. Dies betrifft nicht nur technische Geräte – pflegebedürftige Menschen wissen vielleicht besser als ich, was es heißt, die Kontrolle über und die Verantwortung für den eigenen Körper an andere Menschen delegieren zu müssen. Bedeutet dies eine Einschränkung von Freiheit? Oder nicht eher einen Freiheitsgewinn?

“Die Grenzen, die dem Willen durch die Welt gezogen werden, sind kein Hindernis für die Freiheit, sondern deren Voraussetzung,” schreibt Peter Bieri in seinem Buch “Das Handwerk der Freiheit”. Wichtig ist ihm, dass Freiheit eben ein Handwerk ist. Freiheit ist nicht einfach so gegeben, sondern wir müssen sie in vielen (manchmal mühsamen) Einzelschritten tagtäglich erarbeiten. Auch Sartre denkt etwas Ähnliches in “Das Sein und das Nichts”, wenn er schreibt, dass auch der Mensch im Gefängnis frei ist. Entscheidend in Sartres Freiheitsbegriff ist die Projektion, der Entwurf. Auch im Gefängnis kann ich ein Handeln oder ein Bild von mir selbst entwerfen; das allein schon ist es, was mich frei macht.

Gelten diese beiden philosophischen Gedanken auch für das Beispiel des Computers, der von fremder Hand gesteuert wird oder für den alten Menschen, der von fremder Hand gewaschen wird? Zunächst scheint mir das widersinnig. Microsoft greift auf meinen Rechner zu, und ich kann eben nichts tun (im Sinne Bieris), außer warten. Und auch ein Entwurf meines Handelns (im Sinne Sartres) ändert nichts daran – denn es wäre etwas weltfremd, in der heutigen Zeit z.B. ein Dasein ohne PC realisieren zu wollen. Und auch der Mensch im Pflegebett hat ja keine Wahl, außer eben sich nicht waschen zu lassen – mit all den negativen Konsequenzen, die dies mit sich bringen würde.

Was es braucht, ist vielleicht eher eine Haltung der inneren Leere, wie wir sie im Zen oder im Taoismus finden. Kakuzo Okakura beschrieb dies in einem Büchlein über den Tee (The book of Tea) anhand der Metapher des Vakuums: “Die Realität eines Raums, zum Beispiel, kann gefunden werden in dem freien Raum, der von Dach und Wänden eingeschlossen wird, und nicht im Dach und den Wänden selbst.” Nimmt man eine solche Haltung der Leere ein, so kann man sich selbst größer machen als die Grenzen, die durch solche äußeren Bedingungen gegeben sind. Wir sind immer mehr als die Einschränkungen, die uns auferlegt werden. Erkennen wir sie an, so werden wir ein “Meister aller Situationen”, denn “das Ganze kann die Teile immer dominieren”.

Was kann ich also tun, wenn Microsoft das nächste Mal auf meinen PC zugreift? Meditieren, abwarten und Tee trinken. Und “mehr” sein als das psychologische “Verstricktsein” in den Rechner. Bin ich dann ein Meister der Situation? Vielleicht. Oder ich bleibe doch lieber bei der westlichen Variante, das Problem zu lösen: Ich installiere Linux.

Foto: by WikimolOwn work, CC BY-SA 3.0, Link

 

Ein Kommentar

  1. Evelyn Evelyn 21. April 2017

    …”Nimmt man eine solche Haltung der Leere ein, so kann man sich selbst größer machen als die Grenzen, die durch solche äußeren Bedingungen gegeben sind. Wir sind immer mehr als die Einschränkungen, die uns auferlegt werden. Erkennen wir sie an, so werden wir ein „Meister aller Situationen“, denn „das Ganze kann die Teile immer dominieren“.

    Dieser Satz gefällt mir sehr!

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