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(S)he’s got it: Weisheit als Lebensziel

Wofür leben wir? Das ist doch die Frage, die uns alle beschäftigt. Das ist die letzte Frage, die am Ende darüber bestimmt, was wir tun und was wir nicht tun, was wir wollen und was wir nicht wollen, wonach wir uns sehnen und wonach nicht.

Natürlich gibt es immer so etwas wie Sachgründe, die auch mit darüber bestimmen, was wir tun und lassen. Weder in unserer hochfunktionalisierten Gesellschaft, noch in der Ständegesellschaft des Mittelalters noch in den antiken Gesellschaftsformen lässt sich dieser Aspekt, Motivation zu erzeugen, wegdenken. Schon immer gibt es naheliegende, logische Gründe, die uns sagen, was wir als nächstes tun sollen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Manchmal sind uns diese Gründe von außen vorgegeben und wir erkennen sie nur widerwillig an. Aber es gibt auch eigene Sachgründe, die unseren eigenen Ziele entsprechen.

Jeder und jede von uns sucht aber immer auch nach dem großen, letzten Ziel. Sachgründe geben nur die Zwischenstationen vor. Wofür leben wir? Oder, denn jeder kann sich diese Frage eigentlich nur selbst stellen: wofür lebe ich? Wofür leben Sie? Dass diese Frage nicht trivial ist, wird deutlich, wenn wir Menschen anschauen, die keine Antwort mehr haben. Das Gefühl, dass das eigene Leben sinnlos ist, ist so schrecklich, so unaushaltbar, dass viele, die sich in diesem Zustand wiederfinden, beschließen, dem durch Selbsttötung ein Ende zu setzen.

Gut also, wenn es in Ihrem Leben etwas gibt, woran Sie sich orientieren können. Jeder von uns weiß: das ist alles andere als leicht, denn die Antwort ist fast nie konkret. Es ist doch meistens nur ein vages, spürbares Gestimmtsein, das uns den Weg vorgibt. Wir spüren: dorthin führt mein Leben, das möchte ich ausprobieren. Das fühlt sich sinnvoll und stimmig an.

Schon seit altersher haben sich Menschen mit diesem Themenkreis beschäftigt. Haben darüber nachgedacht, ob es vielleicht so etwas gibt wie ein aussprechbares Wort für das, was wir da anstreben. Der Philosoph Aristoteles nannte dieses Ziel Weisheit. Weisheit, so sagt er, ist die Kenntnis von ersten Ursachen und letzten oder obersten Prinzipien.

Ursachen und Prinzipien – was soll das sein? Im Hintergrund steht, so meine ich, eben der Gegensatz, den ich weiter oben skizziert habe. Es ist der Gegensatz von nah-konkret und fern-vage. Habe ich ein nahes, konkretes Ziel, so ist es kann ich ganz genau die Bedingungen und Tätigkeiten angeben, die mich dort hin führen. Habe ich zum Beispiel das Bedüfnis, meinen aktuell spürbaren Hunger zu stillen, so gehe ich in einen Laden, kaufe mir Lebensmittel und verspeise sie. Ein fern-vages Ziel hingegen lässt sich nicht so leicht in Handlungen überführen. Hier muss ich immer wieder neu überlegen, kreativ werden, und mit meinem Bauchgefühl abgleichen, ob mein Handeln noch in die richtige Richtung führt.

Und das genau ist das Problem. Bei der Frage, bei der es um Alles und ums große Ganze geht, bei der Frage also, wofür ich lebe, wird eine Antwort nur selten konkret sein. Nur in besonderen Augenblicken erleben wir, dass das, was wir da gerade tun, genau unser Ding ist. Ich selbst habe solche Momente beim Fotografieren in Norwegen erlebt. Vielleicht kennen Sie das auch: in einem solchen Augenblick spüren Sie ganz konkret, wofür Sie leben. Genau für das hier. Jetzt. In den meisten Situationen jedoch kennen wir dieses Gefühl nicht als konkretes Jetzt-Gefühl, sondern eher als unbestimmtes, aber dennoch deutliches und nicht wegzuerklärendes Hintergrundrauschen.

Kann man das Hintergrundrauschen dennoch irgendwie in Worten ausdrücken? Diese Worte dürften nicht zu abstrakt sein, denn Abstraktion bedeutet, dass man vereinfachen, also immer etwas weglassen müsste. Und dann würde letzten Endes etwas Wichtiges fehlen, vielleicht ein Aspekt des Lebens, der doch auch dazu gehört. Man hätte das große Ganze verloren. Andererseits dürfen die Worte auch nicht zu konkret sein, denn auch dann verliere ich das große Ganze aus dem Blick. Alles zerfällt wieder in keine, unzusammenhängende und damit sinn-los werdende Einzelziele. Gibt es also etwas, was beide Fallen vermeidet, die der Abstraktion und die des Zerfallens in die detaillierte Sinnlosigkeit?

Aristoteles sagt: Ja klar, solche Worte kann man finden. Die obersten Prinzipien sind Ziele, die weder abstrakt sind, d.h. wesentliche Aspekte des Lebens weglassen, noch zerfallen in Details. Solche obersten Prinzipien sind z.B. das Wahre, das Schöne und das Gute, Prinzipien also, die schon Aristoteles’ Lehrer Platon formuliert hatte. Weisheit hieße dann, jeden Tag aufs Neue zu versuchen, genau diese Prinzipien zu erreichen. Das Wahre, das Schöne und das Gute sind in jedem konkreten Moment, in jedem kleinen Detail anstrebbar und doch sind sie zugleich auch Fernziele, wie rote Fäden, an denen man sich ein Leben lang entlanghangeln kann.

Wofür also leben wir? Schauen Sie sich mal um in Ihrer Umgebung. Vielleicht gibt es einen Menschen in Ihrem Umfeld, der Ihrer Einschätzung nach zumindest ein kleines bisschen Lebensweisheit in sich trägt. Was sind oberste Prinzipien, nach denen dieser Mensch sich richtet?

Ein Kommentar

  1. Harald Möller Harald Möller 8. November 2011

    Die Frage nach dem Großen und Ganzen ist eigentlich immer verbunden mit der Suche nach dem Glück. Und dieses Glück ist individuell für jeden etwas völlig anderes. Deshalb scheitern im Endeffekt auch alle Glücksverheißungen, Religionen und Ideologien.
    Auf der Suche nach dem Großen und Ganzen muss sich jeder Einzelne deshalb intensiv und nachhaltig damit beschäftigen, was ihn persönlich glücklich macht, ausfüllt, Energie gibt, Bereicherung verschafft usw. Und wenn er sich selber kennt, kann er seinen persönlichen Weg zum Glück innerhalb der ihn umgebenden Gesellschaft oder bei zu großen Unterschieden außerhalb dieser oder innerhalb einer anderen Gesellschaft suchen.Das Große und Ganze beruht also zunächst auf dem Innenleben des Einzelnen und ist deshalb immer etwas anderes.
    Gesellschaften sind nur dazu da, eine individuelle Erfüllung zuzulassen, wenn sie diese anbieten oder gar einfordern als kollektive Erfüllung, hat eine Gesellschaft ihr höchstes Ziel verfehlt, nämlich das Glück des Einzelnen.

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