Mangelgefühle entstehen dann, wenn etwas, was nötig wäre, damit ein Prozess sich (gut) fortsetzen kann, nicht da ist. Wir kennen viele Strategien und Ausweichmöglichkeiten, um diesem Erleben zu entfliehen. Der Weg hin zu Fülle und Lebendigkeit führt jedoch mitten durch den Mangel hindurch.
Mangel und Fülle gehören irgendwie zusammen. Bedürfnisse können übererfüllt sein, es gibt so etwas wie Sattsein oder Zu-satt-sein. Mangel ist nicht unbedingt ein Fehlen von Fülle oder Bedürfnisbefriedigung, sondern eher der Punkt, an dem etwas impliziert ist, aber noch nicht geschehen kann. Meistens fehlt trotzdem schon etwas. Dieser Mangel aus einer Überfülle heraus ist quasi ein Spezialfall.
Ich möchte heute den Blick auf diesen Mangel richten, wo uns wirklich etwas fehlt, was nicht da ist. Wie verhalten sich unerfüllte Bedürfnisse? Wenn wir das prozesstheoretisch betrachten, wird schnell klar, dass ein Mangelprozess oft eine sich selbst verstärkende Tendenz hat. Das heißt, wenn du Mangel empfindest und versuchst, das Problem zu lösen, führen deine Handlungen möglicherweise dazu, dass der Mangel durch deine Aktionen verstärkt wird.
Ein Beispiel: Wenn du dich nach menschlicher Nähe sehnst, aber dich einsam fühlst, könntest du in Ruppigkeit und Unfreundlichkeit abrutschen. Dies kann dazu führen, dass du mögliche Quellen für menschliche Nähe verpasst und dadurch noch tiefer in die Einsamkeit gerätst. Das zeigt, dass unsere Handlungen oft gegenläufig sind und dass wir durch den Versuch, das Problem zu lösen, es manchmal nur verschlimmern.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Bedürfnisse nicht nur im Menschen selbst existieren, sondern dass wir oft in Dynamiken gefangen sind, die das Problem, indem wir versuchen, es zu lösen, noch verschlimmern. Wir können eine prozessorientierte Perspektive einnehmen, um diese Aufschaukelungsprozesse und Eigendynamiken zu betrachten und zu verstehen. So wird auch deutlich, wie es möglich ist, aus diesen destruktiven Mustern auszubrechen.
Ein entscheidender Schritt dabei ist das echte Annehmen und Durchfühlen des Mangels. Wenn wir tief im Mangel stecken, ist das oft das Schwierigste. Es erfordert, den Schmerz anzuerkennen und zuzulassen. Oft versuchen wir, uns von Mangelgefühlen mit Oberflächlichkeiten abzulenken, denn tiefergehende Mangelgefühle sind oft unaushaltbar. Das echte Fühlen und Anerkennen ist der erste Schritt, um den Mangel zu akzeptieren.
Überlege mal, welche Situation des Mangels du näher betrachten möchtest. Entscheide dich bewusst und nimm dir Zeit, dieses Mangelgefühl zu spüren. Vielleicht gibt es eine körperliche Resonanz, wie Unruhe, etwas Saugendes, Weinerliches oder einen Impuls zum Schlucken. Diese Emotionen könnten Teil eines sich selbst verstärkenden Mangelprozesses sein.
Denk daran, dass diese Emotionskarte individuell ist und jeder seine eigene Landschaft des Mangels hat. Es geht darum, sich dieser Dynamiken bewusst zu werden, um Wege zu finden, aus den destruktiven Mustern auszubrechen. Vielleicht erkennst du auch, wie du dich ablenkst, um den Mangel nicht zu spüren, und reflektiere darüber, welche Strategien du verwendest, um dem Mangel zu entkommen.
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