Die Autorin schildert in dem Buch die Kindheit von Meta, eines Mädchens, das in einem österreichischen Forsthaus aufwächst. Was mich an dem Buch beeindruckt, ist die Präzision, mit der Marlen Haushofer das Erleben wiederzugeben vermag, wie Kinder es haben. Es ist ein direktes, unmittelbares und ehrliches Erleben, das wir im Erwachsensein kaum so “pur” erlauben. Wenn beispielsweise eine Frau in der Küche sitzt und mit der Mutter spricht, und Meta spürt, dass diese Frau böse ist, und dass sie das nur verdeckt, unter höflichen Worten, – so ist dies eine Wahrnehmung, die wir vielleicht auch als Erwachsene für kurze Zeit spüren, aber kaum so ernst nehmen, wie ein Kind dies tut. Himmel, der nirgendwo endet ist für mich ein Buch, das für eine Tür öffnet in eine zurückliegende, gute Zeit, an die auch ich mich selbst noch dunkel erinnere.
Hier ist ein kleiner Auszug:
Das kleine Mädchen, von den Großen Meta genannt, sitzt auf dem Grund des alten Regenfasses und schaut in den Himmel. Der Himmel ist blau und sehr tief. Manchmal treibt etwas Weißes über dieses Stückchen Blau, und das ist eine Wolke. Meta liebt das Wort Wolke. Wolke ist etwas Rundes, Fröhliches und Leichtes.
Meta sitzt Strafe im Regenfaß. Sie hat die Großen bei der Heuernte gestört und geärgert. Sie ist zweieinhalb Jahre und kann nicht über den Faßrand blicken; eingefangen, festgehalten und eingesperrt zu werden ist das Schlimmste, was es gibt. Sie würgt an einem Brocken aus Schmerz und Wut, der immer wieder vom Magen in die Kehle steigt und sich nicht schlucken läßt. Ein schreckliches Unrecht ist ihr geschehen. Sie hat eine Weile gebrüllt, jetzt weint sie still vor sich hin. Die Großen sind böse. Sie wird sie einfach fortschicken. So, jetzt sind sie weit weg, und Meta will sie nie wieder sehen. Sie ist ganz allein. Ermattet vom Weinen rutscht sie zu Boden und sitzt auf Moospolstern und kleinen Steinen. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Es ist heiß und trocken im Faß. Das Holz ist alt und glänzt silbergrau. Es zieht die kleinen Hände an und läßt sich betasten und streicheln, bis es leise zu summen beginnt. “Mach dir nichts draus; sie werden dich schon wieder holen, die Großen. Ich bin gut und warm, du mußt dich nicht fürchten.” Meta lauscht dem Gesumm und lehnt die Wange gegen die gewölbten Bretter. Zartes rauhes Streicheln und Wärme, die unter die Haut dringt. Sie fängt an das Holz abzuschlecken, es schmeckt vertraut und ein wenig bitter. Der Brocken in ihrer Kehle löst sich, fließt zurück in den Leib und versickert. Das alte Faß ist brav und zum Liebhaben. Aus seinen Rissen, in der Glut vergangener Sommer entstanden, wachsen kleine Moospflanzen und bilden Polster für eine feuchte gekränkte Wange. Immer tiefer hinab gleitet das Kind. Jetzt liegt es auf dem Rücken. Es gibt so viel zu sehen; die eigenen bräunlichen Knie, darüber das silbrige Holz und das Fleckchen Himmel, eine tiefblaue Gasse, die nirgendwo endet. Meta reißt die Augen ganz weit auf, und die Bläue sickert in sie hinein. Das tut sie so lange, bis sie ganz dick und angeschwollen ist und der Himmel verblaßt. Dieses Spiel ist nicht ganz geheuer. Vielleich mag der Himmel nicht, daß man ihm seine Farbe wegnimmt. Meta schließt die Augen und schickt die Bläue wieder hinauf. Das ist sehr anstrengend, und sie wird müde und leer davon. Als sie endlich die Augen aufschlägt, leuchtet der Himmel wieder tiefblau.
Meta ist ganz und gar getröstet, und immerfort wispert das alte Faß seine unverständlichen Geschichten.
Lieber Toni,
danke für den Buchtipp und dieses wunderbare Zitat, das mich – und das scheint mir (und bestimmt auch anderen?) naheliegend – an vorgeburtliches Erleben denken und fühlen lässt. So als ob sich Meta zum Trost zurückfantasiert in den Mutterleib … vielleicht sogar noch weiter – zurück in den Himmel. Und dabei der Liebe – und der Ungeheuerlichkeit begegnet … wie lebensnah!
Herzlich,
Anke